Menü
13.09.18 –
Lübbecke (NW). Sommer 1968: Politisch prägend für den Grünen-Lokalpolitiker Herbert Vollmer (70) waren seine Studentenzeit und seine älteren Geschwister Ernst-Dieter und Antje Vollmer, ehemalige Bundestags-Vizepräsidentin.
Als der Student Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 während einer Demonstration gegen den iranischen Schah von einem Polizisten in Berlin erschossen wurde, ging Herbert Vollmer noch zur Schule. Er stand kurz vor dem Abitur am Wittekind-Gymnasium in Lübbecke, "an dem nur wenige Schüler politisch aktiv waren und es deshalb noch keine Schülerbewegung gab."
Das änderte sich: Ohnesorgs Tod führte zu einer Schulversammlung, "bei der eine Studentin aus Berlin von den Straßenprüglern des Schahs berichtete und heftig mit dem Sohn eines NPD-lers diskutierte", erinnert Vollmer sich. Damals sei er politisch vielleicht ein wenig mehr interessiert gewesen als seine Mitschüler: "Ich war aber nicht aktiv, eher zurückhaltend." Doch das sollte sich ändern.
Das Elternhaus von Herbert Vollmer liegt in der Fußgängerzone, in der Langen Straße. In dem zweistöckigen Eckhaus mit großem Dachgeschoss und kleinem Garten hat er seine Kindheit und seine Jugend verbracht. Sie waren zu sechst: Großmutter, Mutter, Vater, die älteren Geschwister Ernst-Dieter und Antje. Und er als Jüngster. Hierher ist der inzwischen 70-Jährige 2001 auch wieder zurückgekehrt.
Vollmer erinnert sich gut an das jahr 1968
Herbert Vollmer 1968: Das Foto schenkte er seiner Mutter zum 60. Geburtstag. | © Foto Pescht/privat
"Einer aus der Familie sollte das Elternhaus halten", hatten er und seine Geschwister besprochen, nachdem die Mutter schwer gestürzt und in ein Altenheim umgezogen war. Da Herbert Vollmer als Rechtssekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Herford lebte und damit am dichtesten an Lübbecke wohnte, fiel die Wahl auf ihn. Vollmer erinnert sich gut an das Jahr 1968, sein zweites Jahr als Jura-Student an der noch jungen Ruhr-Universität Bochum. Rektor war Kurt Biedenkopf, den es später in die Geschäftsführung des Düsseldorfer Henkel-Konzerns zog, bevor er Generalsekretär der CDU und Ministerpräsident des Freistaates Sachsen wurde.
"Bochum war zwar nicht vergleichbar mit Berlin", wo Schwester Antje evangelische Theologie studierte. „Es gab aber Demonstrationen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes und Fackelzüge. Und wenn Kurt Biedenkopf sprach, wurden seine Reden gestört."
"Die Polizei ist rigoros vorgegangen"
An den Protest der außerparlamentarischen Opposition gegen die Notstandsgesetze, die das Grundgesetz änderten, weil der Staat in Ausnahmesituationen wie Krieg und Aufstände handlungsfähig bleiben wollte, "war ich voll integriert." Und auch bei einer Demo gegen die Fahrpreiserhöhung der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen machte Herbert Vollmer mit: "Die Polizei ist rigoros vorgegangen", weiß er noch, "und hat Wasserwerfer eingesetzt".
Als Student war er distanziert gegenüber Parteien. Bis zum Studium sei er nie der große Aktivist gewesen, der in der ersten Reihe stand. Trotzdem diskutierte er natürlich "hochpolitisch" mit Cousins und Cousinen. Vor allem aber mit den älteren Geschwistern, etwa bei Familienfeiern, oder auch in Berlin, wo er Schwester Antje gelegentlich besuchte. Dabei zeichnete sich bereits ab, wohin er sich beruflich entwickeln würde: "Ich wollte den Menschen mit dem Wissen aus meinem Studium dienen." So spezialisierte Vollmer sich auf Arbeitsrecht, was ihm den Weg zum DGB ebnete.
Davor gab es einige Referendariats-Stationen, unter anderem bei der Staatsanwaltschaft in Bielefeld. Dort kam er mit der linken Szene in Kontakt, beschäftigte sich mit Berufsverboten und lernte auch Mitglieder der "Bunten Liste" kennen, aus der die Bielefelder Grünen hervorgingen. Herbert Vollmer gab seine ursprüngliche Distanz zu den Parteien auf und wurde Mitglied, denn: "Die Bunte Liste wollte nur Kommunalpolitik für Bielefeld machen." Das war ihm zu wenig, zumal abzusehen war, dass er Bielefeld wieder verlassen würde.
Die meisten Berufsjahre in Diensten der Gewerkschaft hat Herbert Vollmer in Hamm verbracht, bevor er vor sechs Jahren in den Ruhestand ging. Seitdem engagiert er sich verstärkt in der Lübbecker Kommunalpolitik – unter anderem als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. Wenn er auf die bewegte Studentenzeit und seine bald 40-jährige Mitgliedschaft in der Partei zurückblickt, glaubt er, den Grund zu kennen: "Ohne die 68er wäre aus mir wohl kein Grüner geworden."
Von Frank Hartmann
Kategorie
zum aktuellen Newsletter hier
hier auch zum aktuellen Newsletter von Schahina Gambir